Beinahe wäre ich auf sie getreten. Nur zwei kleine Schritte stand ich von
ihr ab. Das gelb-schwarz gefärbte Reptil war auch hervorragend im
kniehohen Buschgras getarnt. Als die gut 2 m lange Schlange mich bemerkte,
ringelte sie sich zusammen, blähte sich auf, züngelte und stellte ihre
Schwanzrassel aufrecht. Sie wollte wohl damit zum Ausdruck bringen: Tust
du mir nichts, tu ich dir auch nichts. Leider hatte ich auch noch "Künstlerpech", denn mein Film war ausgerechnet
jetzt voll. Die eine Aufnahme, die ich noch hatte, ist aber wenigstens
gelungen. Seit dem reise ich immer mit 2 Kameras. Bill hatte von all dem
nichts bemerkt, denn er war unterdessen weiter gelaufen. Als ich ihn rief,
kam er laut rufend und mit den Armen fuchtelnd zurück - "Go, go dangerous".
Daraufhin zog ich Stück für Stück, langsam wie eine Schnecke, den Fuß
zurück und ging vorsichtig einige Schritte nach hinten.
Die erregte Schlange flüchtete so schnell in das obere Stockwerk eines
Baumes, daß sie den am Himmel kreisenden Greifvogel, der alles mit
scharfem Auge beobachtet hatte, fast nicht bemerkte. Mit schrillem Jagdruf
und ruhigem Schwingenschlag glitt der Greif davon. Später stellte sich
heraus, daß es sich bei der Schlange um eine ungiftige, aber bissige
Yellow Swallow Snake gehandelt hatte. Schlangenbegegnungen sind sehr
selten und nicht so häufig, wie man es in gruseligen Amazonasfilmen
vorgegaukelt bekommt.
Auch daß in den Flüssen überall freßwütige, angriffslustige und
blutgierige "Piranhas" oder Alligatoren lauern, ist Wichtigtuerei von
irgendwelchen Romanschreibern. Würden die Indianer sonst ihre Kinder den
halben Tag im Wasser spielen lassen? Das Leben in der Stadt und im
Straßenverkehr birgt viel mehr Gefahren!
1841 schrieb R. Schomburgk in sein Tagebuch:
"Die kühlenden Wellen des Pirara waren bei der unausstehlichen Hitze
für unsere Gesundheit die größte Erquickung, welche uns aber leider nur
bald vergällt wurde, da einem der Indianerknaben, die uns gefolgt waren,
beim Überschwimmen des Flusses von den gefräßigen Pirayas ein großes Stück
Fleisch aus dem Fuße gerissen wurde. Das schreckliche Aufschreien des
Knaben, als er die Wunde erhielt, ließ uns anfänglich fürchten, er sei die
Beute eines Kaimanes geworden. Schreck und Schmerz hatten ihn so
erschüttert, dass er kaum das Ufer erreichen konnte."
Diese Erzählung Schomburgks bezieht sich nicht auf den echten Piranha,
sondern auf den Sägesalmer, der ebenfalls die Flüsse Amazoniens bewohnt
und oft mit den Piranhas verwechselt wird. Alexander v. Humboldt
berichtete über den Sägesalmler
Folgendes: "Der Fisch fällt die Menschen
beim Baden und Schwimmen an und reißt ihnen oft ansehnliche Stücke Fleisch
ab. Ist man anfangs auch nur unbedeutend verletzt, so kommt man doch nur
schwer aus dem Wasser, ohne die schlimmsten Verletzungen davonzutragen.
Verschiedene Indianer zeigten uns an Waden und Schenkeln vernarbte, sehr
tiefe Wunden, die von diesen kleinen Tieren herrührten."
Bei den Yaguas konnte ich solche Verletzungen nicht
feststellen. Das Pflanzengewirr war fast undurchdringlich. Zwischen den
mächtigen Stämmen der Urwaldriesen siedelten baumhohe Brennesseln und
riesige Farnkräuter. Äste und Stämme waren von unzähligen Kletterpflanzen
umschlungen. Im Krautgewirr unter einem kahlen Busch glotzte uns ein
hellgrüner Leguan an, der erst beim Näherkommen das Weite suchte. Auf dem
feuchten Boden ausgleitend und über vermoderte Baumstämme kriechend,
drangen wir tiefer in das Dickicht ein.
Nach einer Stunde waren wir am Yanuyaku-River, wo Bill ein granitgraues
Kanu versteckt hatte. Bevor wir das Boot wassern konnten, fing ich an wie
ein Wilder auf meine Kleidung einzuschlagen. Mehrere Ameisen hatten es
geschafft, unter meiner Hose bis zum Oberkörper hinauf zu krabbeln, und
bissen dann äußerst aggressiv zu. Bill fing an zu grinsen, krümmte und
schüttelte sich bald vor Lachen.
Wir paddelten nun in Richtung Rio Amazonas, denn er wollte mir dort eine
Schule, die für die Kinder im Regenwald gebaut wurde, zeigen. Es gibt hier
sogar ein Schulboot, das die Schüler von Dorf zu Dorf abholt und zur
Schule bringt. Auf dem Wasser waren wir der intensiven Sonneneinstrahlung
ausgesetzt und mein von Dornen zerrissenes Hemd klebte förmlich am Körper.
Die Schreie bunter Papageien begleiteten uns. Grellbunte Tukane mit
wuchtigen Schnäbeln flogen am Ufer entlang. Über einer Senke, die mit
Hochwasser gefüllt war, hüpfte ein handflächengroßer, metallicblauer
Schmetterling wie ein Jojobällchen durch die Luft. Wie Senkrechtstarter
flogen leuchtende Libellen von auf dem schwarz gefärbten Wasser
schwimmenden Holzstückchen in die Luft. Ein hell funkelnder Tagfalter hob
sich kraß von der vorherrschend grünen Waldkulisse ab. Geängstigt mit
seinem Schwanz das Wasser peitschend, jagte ein Kaiman am flachen Ufer im
Wellengang davon. Ein Zweiter schnellte wie aus dem Nichts ins aufgewühlte
Wasser und schoß hinter dem Fliehenden drein. Hinter einer sanften Rundung
des Flusses standen viele Silberreiher mit schneeweißem Gefieder im
Seichtwasser, um den Fischen nachzustellen. Wenn Beute heran schwamm,
stieß der kräftige Schnabel wie ein Blitz ins Wasser und packte sich den
Leckerbissen. Bald bogen wir in ein schmales Nebenflüßchen, das beidseitig
von dichtem hohem Röhricht gesäumt war, ein. Eine Abkürzung, meinte mein
Begleiter. Von einem Baumstumpf, der aus dem Sumpf ragte, flog ein
kormoranähnlicher Wasservogel auf. Inzwischen stand die Sonne im Zenit und
brannte glühend heiß. Oft setzte das leichte Kanu auf den Grund und wir
mußten später aussteigen und unser Boot schieben, um weiter zu kommen.
Teilweise mußte die kaum noch Wasser führende Fahrrinne mit der Machete
passierbar gemacht werden, da sich der natürliche Wildwuchs seinen
Lebensraum zurück erobert hatte.
Endlich angekommen wurden wir fröhlich winkend begrüßt, und ich sollte
gleich eine Cola kaufen. Bill flüsterte mir den richtigen Preis zu, denn
hellhäutige Besucher werden zunächst als Gringos angesehen. Man versucht
ihnen dann den so genannten "Gringo- Aufschlag" zu berechnen. Da das in
ganz Südamerika so ist, wußte ich schon Bescheid und antwortete mit: "somos
alemanes". Sogar einen kleinen Kaufmannsladen hatten sie hier, der aus
Iquitos mit dem Boot versorgt wurde. Boote sind im Amazonasgebiet das
Verkehrsmittel schlechthin.
Der Unterricht in der Schule war leider schon beendet, deshalb
verabschiedeten wir uns bald wieder und machten uns auf den Rückweg. Nun
paddelten wir auf dem Amazonasstrom flußabwärts und Bill erzählte mir, daß
die Uferbewohner früher der Meinung waren, der Strom umfließe die ganze
Welt und alle Menschen wohnten an seinen Ufern. Des weiteren wußte er, daß
der Amazonas in 5000 m Höhe als winziger Bach den peruanischen Anden
entspringt, und daß seine breiteste Stelle 11 km beträgt, an seiner
Mündung sogar 320 km. Das Salzwasser des Atlantik wird von den gewaltigen
Wassermassen des Stroms bis zu 200 km in die See zurückgedrängt.
Die sengenden Sonnenstrahlen, die senkrecht und schattenlos auf das Kanu
hernieder brannten, wurden allmählich unerträglich. Vor einer zweihundert
Meter breiten Lagune ließen wir uns treiben, denn hier hielten sich mit
Vorliebe einige Süßwasserdelphine auf, nach denen wir Ausschau halten
wollten. Leider erfüllte sich unser Wunsch nicht.
Als sich unser kleines Boot der Yagua- Siedlung näherte, riefen mir die
lebhaften Kinder schon von weitem ihr „Candyman“ entgegen. Nach der
anstrengenden Tour wollte ich nun ein erfrischendes Bad im Fluß nehmen,
deshalb legte ich meine wenigen Kleider ab und paddelte mit dem Boot zur
Flußmitte. Die Kinder schwammen mir hinterher, holten mich ein und
versuchten aus Spaß, durch wildes Hin- und Herschaukeln das Boot zum
Kentern zu bringen. Absichtlich ließ ich mich betont ungeschickt über Bord
fallen, und die Kinder lachten und freuten sich darüber. Wie man ein 2 m langes Blasrohr (Pukuna) baut, konnte
ich am nächsten Tag beobachten. Ich habe mich schon immer gefragt, wie sie
ohne Maschinen ein so exaktes Loch auf diese Länge hinein bekommen. Dazu
werden 2 identische Leisten mit der Machete aus einem Baumstamm
angefertigt. Mit einer Art selbstgebauter Ziehklinge wird in jede
Hälfte eine Nut gezogen. Die beiden Teile werden nun zusammen gebunden und
mit einem Messer rund geschnitzt. Danach wird das so entstandene "Rohr"
mit Pflanzenfasern auf seiner gesamten Länge straff umwickelt. Die Pukuna
wird dann mit Sand gefüllt und zwischen 2 Astgabeln festgebunden. |