Ein Gekreische hallte durch den Wald, als die Frauen
mit Liyan voraus gingen. Sie bekamen es an einem hohlen Baumstamm mit einem
wilden Bienenstock zu tun.
Am späten Nachmittag erreichten wir wie geplant den Gipfel, der uns mit
einem einmaligen Ausblick belohnte. Beim Aufschlagen unseres Lagers mussten
wir uns beeilen, denn schwere Regenwolken zogen auf. Gerade noch rechtzeitig
bekamen wir unsere Plane gespannt. In unseren aus Bambus angefertigten
Trinkbechern fingen wir das an der Plane herunter fließende Regenwasser auf,
um es später zum Kochen, Trinken und für hygienische Zwecke zu nutzen. Auch
alle Trinkflaschen wurden gefüllt. Um bei diesem Regen ein Feuer im Gang zu
halten, wurde aus Ästen und Palmenblättern eine überdachte Feuerstelle
gebaut. Unsere candel stones taten jetzt gute Dienste. Sie brannten besser
als jeder Kohlenanzünder aus dem Supermarkt. Im Gepäck hatten wir auch
Nudeln und Reis verstaut. Der Reis wurde in große Blätter gerollt und in
eine mit Wasser gefüllte, dicke Bambusröhre geschoben, so wie ich es schon
von den Ibans kannte. Längsgeteilter Bambus oder geschickt gefaltete Blätter
dienten als Tellerersatz. Löffel und Gabeln wurden ebenfalls aus
Buschmaterial angefertigt, das sparte zusätzliches Gepäck und den Abwasch.
Na gut, man kann auch wie die Einheimischen mit den Fingern essen. Das kommt
natürlich auf dasselbe heraus. Jaman und seine Begleiter staunten, als sie
merkten, dass ich diese Praktiken alle schon kannte, und ich bekam einen
neuen Spitznamen: "good bushman, good bushman". Sie riefen es jetzt immer,
wenn etwas mit der Machete zu erledigen war.
Ein Adler kreiste am nächsten Morgen direkt über unserem Lager. Nur wenigen
Menschen ist es wohl vergönnt, so einen majestätischen Vogel, in der freien
Natur zu bewundern.
"Was ist ein Adler im Zoologischen Garten? Ein riesiges Federbündel
mit den unangenehmen Beigaben üblen Geruchs und ekligen Geschmeißes. Halb
verfaulte Fleischreste sind den Fliegen eine willkommene Tummelstätte, am
scharfen Adlerschnabel kleben widerliche Reste der Mahlzeit. Nur das Auge,
dieses kühne, feurige Adlerauge unter den scharfgeschnittenen Braunfedern
kann uns fesseln" (Frieling).
Blitzschnell wollte ich die noch vor Nässe geschützte Kamera startklar
machen. Oh Schreck was ist los? Der Fotoapparat funktionierte nicht und
meine Zweitkamera hatte keinen Telebereich. Langsam entschwand der Held
vieler Fabeln in das Reich der tiefhängenden Wolken und nur seine schrillen
Rufe ließen einen Hauch von Abenteuer zurück. Durch die extremen
Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht hatte sich Kondenswasser in
der Kamera gebildet und die Elektronik versagte. Alles was ich nun
fotografieren
wollte, musste ich aus allernächster Nähe, mit der
Reservekamera tun. An die hier oben wachsenden Pitcher Plants
(Kannenpflanzen), mit 27cm Länge deutlich größer als die, die ich sonst sah,
musste ich sehr dicht mit der Kamera heran gehen, um ein aussagekräftiges
Foto zu bekommen. Da einige attraktive Kelche direkt über dem Boden wuchsen,
fotografierte ich im liegen. Meine Begleiter amüsierte das sehr, denn einen
sich auf der schmierigen, feuchten Erde liegenden Fotografen hatten sie noch
nicht gesehen. Jaman rief mir gleich zu: "das Foto musst du mir unbedingt
schicken, das muss ich haben".
Später als wir wieder in Pa'umor waren, sprachen mich die Einwohner schon
von weitem immer mit good bushman an und winkten mir zu.
Leider sind wir nicht auf die Penan gestoßen, wie ich es mir unterschwellig
erhofft hatte. Die Kelabit erklärten mir, dass man äußerst selten auf sie
trifft. Die Penan sind Nomaden und keiner weiß, wo sie sich zur Zeit
aufhalten. Es gibt nur noch ca. 250 Penan, die ihr traditionelles
Nomadendasein, weit zurückgezogen, wo die Bulldozer der Holzindustrie nicht
hinkommen, nämlich in den Bergregenwäldern Sarawaks, zelebrieren. Nicht
einmal ein Führer könnte mich zu ihnen bringen. Aber Jaman nahm mich später
mit seinem Bike mit nach Bario und zeigte mir ein Haus, wo einige ansässig
gewordene Penan wohnten. Hier lebten zwei Familien. Sie zogen nach Bario, um
ihre Kinder in die einzige Schule der Region schicken zu können. Jedes Mal,
wenn ich in den Ort kam, der von allen Seiten mit hohen Bergen umgeben war,
ging ich natürlich immer an diesem Haus vorbei, und an meinem letzten Tag
hatte ich ein riesiges Glück, ein Blasrohrjäger der Penan kam gerade aus dem
Wald und suchte bei seinen Stammesangehörigen eine Übernachtung. Leider
konnte man sich nur schlecht mit ihm verständigen, denn er sprach bloß Penan.
Kein Malay, Kelabit oder gar Englisch aber wenigsten waren wir uns auf
Anhieb sympathisch. Lediglich dass er Ipa hieß, brachte ich in Erfahrung. Da
die Penan weder Tage noch Jahre zählen, wusste er auch nicht, wie alt er
war, geschweige denn, wann er Geburtstag hat. Er zeigte und führte mir
gleich seine Sumpit vor. Fotografieren war kein Problem. Er wusste nur
nicht, wie er sich verhalten sollte, denn er stand das erste Mal vor einer
Kamera. Die Bewohner des Hauses und vor allem die Kinder schauten neugierig
zu. Bald wusste er überhaupt nicht mehr, wie er stehen sollte, und ich gab
ihm die Posen ein bisschen vor. Vergebens, er konnte es nicht umsetzen, es
sah immer irgendwie ungeschickt aus und er musste ständig kichern. Ein paar
gute Fotos sind mir aber trotzdem gelungen.
An der offenen Feuerstelle in Gems Lodge, wo wir jeden Abend saßen und uns
Geschichten erzählten, sagte Jamen zu mir, dass er unsere Bushtour als
Trekkingroute unter dem Namen: SIX TOPPER - TRAIL, anbieten will. Wir waren
die Ersten die auf diesem Berg übernachtet hatten, und sind zu sechst
gewesen.
Am Abend des letzten Tages vor meiner Abreise lud mich Jamen auf ein Tiger
Beer in Barios Market ein. Hier wollte ich mich auch noch ein letztes Mal an
den herrlich blühenden Seerosen, die eindrucksvoll auf einem Fischteich
schwammen, erfreuen. Ich habe schon viele exotische Pflanzen gesehen, aber
diese 20 cm großen, türkisblauen, schneeweißen und pinkfarbenen Prachtblüten
in solcher Fülle, waren ein einzigartiges Erlebnis.
Wieder hatte ich großes Glück, als wir beim kühlen Bierchen saßen, kam ein
Penan mit seiner Sumpit aus dem Wald, die staubige Piste herunter gelaufen.
Gleich sprang ich auf, um ihn heran zu winken. Erstaunt blieb er stehen und
wusste offensichtlich nicht, was los ist. Mit meinen Händen zeigte ich ihm
symbolisch an, ob er Lust hätte, da drüben mit mir - und ich zeigte mit den
Fingern auf das kleine Lokal - etwas zu trinken. Er blieb einfach stehen und
rührte sich nicht vom Fleck. Ich wiederholte die Gesten alle noch einmal und
gebrauchte das Wort Coca Cola, aber er rührte sich noch immer nicht. Erst
als ich ihn etwas am Arm zupfte, kam er zögerlich mit. Zufällig war jemand
anwesend, der die Sprache der Penan beherrschte. Er gab mir zu verstehen,
dass der Mann noch nie von einem Weißen eingeladen worden sei und dass er
auch noch nie in einem Lokal oder auf dem Market gesessen habe. Es war auch
seine erste Coladose, die er in den Händen hielt. Zum Dank schenkte der
Penan mir zwei seiner Armreifen, die er am Handgelenk trug. Über dreißig
Reifen konnte ich an ihm zählen.
Erst später in Kuching erfuhr ich, was es mit dem geschenkten Armschmuck auf
sich hatte. Als ich an einem Imbissstand zu Mittag speiste, gesellte sich
ein Mann zu mir und fragte, wo ich denn herkomme. Er hatte meine noch
schmutzigen Schuhe und die Hose gesehen. "Aus den Bario Highlands"
antwortete ich ihm. Nun fielen dem Man meine Armreifen auf und er erkannte
gleich, dass sie von einem Penan stammen mussten. " Hast du die Reifen
gekauft oder hast du sie direkt vom Arm geschenkt bekommen?" fragte er etwas
erregt, und ich sagte leise "na von seinem Arm", weil ich dachte, das sei
etwas Schlechtes, wegen der Hautkrankheiten oder so was. Er sagte: "Weißt du
überhaupt, was das bedeutet"? Ich zuckte mit den Schultern. "Das heißt, dass
du jetzt für immer sein Freund bist und dass er dich immer beschützen wird,
wenn du in Gefahr bist".
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