In diesem „Geisterwald“ lebte also einer der
prächtigsten und spektakulärsten Vögel der Welt. Mit seinen fulminanten
Schwanzfedern, die einen Meter lang werden, durften sich früher nur höchste
und königliche Würdenträger schmücken. Auch das restliche phantastisch bunte
Gefieder wurde dem Vogel zum Verhängnis. In einem einzigen Federkopfschmuck
eines Mayakönigs zählte man fast zehntausend Quetzalfedern. Heute ist der
reizvolle „Göttervogel“ fast ausgestorben. In Volieren ist der signifikante
Quetzal nicht lebensfähig, nur in den dichten Bergnebelwäldern Guatemalas
und Costa Ricas hat er noch sporadische Habitate gefunden. Trotz
strenger
Schutzmaßnahmen geht sein Bestand stark zurück, da die trockenen morschen
Bäume die er für seinen Nestbau braucht, von den indolenten Abholztrupps der
despotischen Holzindustrie gefällt werden, nur um an die lukrativeren
Gehölze zu kommen. Aus ihnen werden dann Kleiderbügel und Gartenstühle
hergestellt. In Guatemala wird der scheue Vogel so geschätzt und verehrt,
dass man bereits 1924 die Landeswährung nach ihm benannte. Ein Nationalsymbol
ist er sowieso. Für die Indigenas, die Indianer des Landes, steht der
Quetzal für grenzenlose Freiheit und Unabhängigkeit!
Mein Wunsch ihn zu sehen wurde nun immer größer und war nicht mehr zu
dämpfen. Angestrengt versuchte ich in dieser chaotisch düsteren Waschküche
etwas zu erkennen, denn der Morgennebel verschloss fast alle Einblicke. So
schnell wie einige Vögel, keine Quetzals, aus der verschleiert milchigen
Umgebung auftauchten, waren sie mit pfeifendem Getriller im dicken
tropischen Dunst auch schon wieder verschwunden. Meine Erkundungstour auf
beschwerlichem Weg mit unbekanntem Ausgang ließ mich in eine faszinierende,
fast „übernatürlich“ erscheinende Sphäre eintauchen. Als eine
meteorologische Göttin das erste Sonnenlicht wie Laserstrahlen durch das
vernebelte dichte Blätterdach schneiden ließ, verwandelte sich der
furcht erregende „Geisterwald“ langsam in einen, von den Strahlen der Sonne
wirkungsvoll in Szene gesetzten, grandiosen „Märchenwald“. Mit den ersten
Strahlen der Märzsonne kam auch eine wärmende Kraft. Wie in die kühle Stille
einer Domkathedrale fiel das stimmungsvolle Licht in den dunklen Raum des
Nebelwaldes.
Nur zaghaft verschwanden die sonderbaren Nebelschwaden und der Wald erwachte
zu neuem Leben. Da droben hatte sich doch etwas bewegt! Vor Aufregung blieb
ich reglos stehen. Ehe ich das Körpergewicht verlagerte, tastete vorsichtig
der Fuß. Langsam und lautlos wie ein Jäger pirschte ich mich in den
geheimnisvollen, von Menschen kaum berührten Cloudforrest vor. War da etwas
oder war es nur ein Ast, wie schon so oft. Nein, es war tatsächlich ein
Vogel, sein rotes Brustgefieder konnte ich jetzt genau erkennen, aber keine
langen Schwanzfedern. Exaltiert gingen mir die Augen über, denn es war ein
Quetzalweibchen, fast blieb mir der Atem stocken und mein Herz klopfte in
der Brust, als wie aus dem Nichts ein Männchen sich im hypnoiden Burleskflug
näherte. Er sah schon komisch aus, der kleine Vogel mit den langen
Schwanzfedern, irgendwie stimmten die Proportionen nicht und es hatte den
Anschein, als könnte er gar nicht richtig fliegen. Es war mehr ein nach
unten Gleiten, dann etwas nach oben Flattern und wieder nach unten Gleiten.
Vielleicht musste er sich auch erst einmal den Schlaf aus seinem Gefieder
schütteln? Hinter einer fast mannshohen Brettwurzel bezog ich in dieser
unheimlichen Wildnis meinen Beobachtungsposten. Als die Quetzales sich von
mir entfernten, musste ich meine gute Deckung aufgeben, um sie nicht aus den
Augen zu verlieren. Im dichten Blätterwerk waren die vorwiegend
grün gefärbten Vögel schwer auszumachen. Fast ausschließlich hielten sie sich
in den Wipfeln der höchsten Bäume (30-40m) auf. Deshalb war es sehr
schwierig, die scheuen Vögel zu beobachten oder zu fotografieren. Trotz
ihrer Verspieltheit waren sie auch sehr wachsam. Selten kam einer aus der
Schwindel erregenden Höhe in die tiefer gelegenen Stockwerke des Waldes und
setzte sich auf einen der von Hunderten Flechten verkrusteten Äste. Doch
dann konnte ich sie gut erkennen und bestimmen, meine Reise hatte sich also
gelohnt. Das kleine Köpfchen mit den großen schwarzen Kulleraugen und dem
kurzen gelben Schnabel schillerte in einem stimmungsvollen Farbspiel
zwischen grün und blau. Ebenso das wie ein umgedrehtes Halstuch aussehende
obere Brustgefieder von Kehle bis Kinn. Die ganze untere Seite des Vogels
(Brust, Flanke, Bauch) erschien feuerrot und wurde an den Flanken von grünen
Flügeldeckenfedern, die wie ein grobes Kammmuster hinein hingen, geziert.
Blütenweiß leuchteten unter den langen Schwanzfedern die kürzeren Stoßfedern
hervor. Rabenschwarz glänzten die Handschwingenkanten. Wie bei einer
hoch toupierten Igelfrisur standen ihm die süßen kurzen Stirn- und
Scheitelfedern aufgebauscht zu Berge. Die gesamte Rückenpartie war laubgrün.
Nun verstand ich auch die Indigenas, denn für sie ist der gravitätische
Quetzal mit seinem berauschend bunten Prachtkleid und den langen
Schwanzfedern das Schönste und Höchste überhaupt. Auch ich hatte noch nie
einen herrlicheren Vogel in freier Wildbahn gesehen. Das zauberhafte Treiben
dieses Pärchens, für mich ein Geschenk des Waldes, erfreute mich noch eine
ganze Weile. Wie viele Menschen hatten schon das große Glück, so ein
phantastisches brisantes Naturschauspiel zu sehen?
In
einer Hospedache in Guatemala City hatte ich ein Poster mit einem
impressiven Wasserfall entdeckt. Es war eine tolle Helikopteraufnahme. An
der dortigen Rezeption erfuhr ich, dass er ganz in der Nähe des Biotops sein
musste. Den wollte ich natürlich auch sehen. Nun fragte ich beim Betreiber
meiner jetzigen Hospedache, wie ich denn da auf eigene Faust hinkäme? Er
schüttelte gleich verneinend mit seinem Kopf. „Da kommst du nicht hin.“
„Warum nicht?“ „Ja, er liegt sehr versteckt und ist äußerst schwierig zu
erreichen.“ „Aber so ein Kaventsmann von Wasserfall muss doch zu finden sein?
Über 100 m hoch. Das Getöse und Gedonner ist doch meilenweit zu hören,
oder?“ „Ja aber es gibt keinen Weg!“ Nun gab ich ihm Zettel und Stift. Er
sollte einfach so nett sein und eine einfache Skizze anfertigen. Er begann.
„Mit den Camioneta bis zu diesem Abzweig hier. Den darfst du nicht
verpassen! Dann musst du diesen Weg bis zu dieser Ortschaft hinauf, aber da
brauchst du einen guten Jeep, denn der Weg ist so tief schlammig, da kommt
kein anderes Fahrzeug durch. Später wird der Weg so schmal, da brauchst du
einen Ochsenkarren aus dem Dorf“. „Du hast einen geländegängigen Pick-Up
Jeep, ich habe ihn hinter deinem Haus gesehen.“ „Der ist aber viel zu teuer
für dich“. „Wie teuer?“ „Zu teuer“! „Wie viel?“ „100 Quezales“. „Das ist
okay für mich. Kannst du mich manana por la manana hinfahren?“ „Si manana a
las cinco de la manana”. „Muchas gracias amigo”. „Hasta manana amigo“. |