5:00 Uhr früh. Frische Kühle. Der Landrover steht schon bereit. Als wir an
den Abzweig kamen, mußte ich feststellen, daß ich hier in der Tat einen Jeep
gebraucht hätte. Nach ca. einstündiger Achterbahnfahrt erreichten wir den
kleinen Ort. Ich sollte im Fahrzeug sitzen bleiben und warten, während mein
Fahrer ins Dorf ging. Es dauerte eine viertel Stunde und er kam mit einem
kleinwüchsigen Indio wieder. Mit den Händen explizierend gab er mir zu
verstehen: dieser Amigo bringt dich zu Fuß zu deinem Wasserfall. Er rieb
seinen Zeigefinger am Daumen und sagte, daß ich das Honorar noch mit ihm
ausmachen müßte und für den Rückweg sollte ich mir dann einen Fahrer vor Ort
suchen.
Schnell hatten wir uns angefreundet und gingen den Ochsenkarrenweg per
Pedes.
Jetzt
verstand ich auch, warum es so schwer war eine Wegbeschreibung
aufzuzeichnen. Wie sollte er auch einen Pfad skizzieren, den es gar nicht
gab? Als die matschige Landpiste zu Ende war, in der ich tief mit meinen
Halbschuhen versank, trafen wir auf ausgedehnte, vor Nässe triefende
Viehweiden. Der größte Teil des Weges lag noch vor uns. Über mehrere
Koppelzäune und Drahtverhaue mussten wir nun klettern, bis wir den Urwald mit
seiner großartigen Natur wieder erreichten. Für meinen Begleiter war das
alles kein Thema, denn er hatte Gummistiefel an. Mit seiner rattenscharfen
brasilianischen Machete verschaffte er uns Zutritt in das immergrüne
Labyrinth der Dschungelwildnis. Das Gelände wurde nun sehr schwierig. Alla
rinfusa musste ich meine Kamera verstauen. Steil ging es bergab und schon
landete ich auf allen vier Buchstaben. Mein Hinterkopf schlug hart auf den
felsigen Untergrund auf. Indiana Jones – Feeling pur.
Der
Guide eilte sofort mit einem nicht amüsierten Gesicht zu mir und hatte die
Befürchtung, es sei mir etwas zugestoßen. Eine ordentliche Beule blieb als
bizarre Randnotiz zurück, weiter nichts. Das war aber nur der Anfang der
Aufwärmphase! Die steinige Bergflanke wurde langsam alpin, der Weg fast
vertikal. Nun glaubte ich, hier sei Ende Allende, denn das
Schwindel erregende Ambiente war nun absolut senkrecht. Oh ja, oh doch, es
geht noch weiter. Mein indianischer Freund zeigte mir nun, wie wir in der
vom Urwald rigoros überzogenen steilen Bergwand weiter kämen. Waaghalsig
hangelten wir uns nun wie Halbaffen in den konkurrierenden Bäumen weiter
vor, unter uns gähnende Tiefe. Ein Damoklesschwert! Gefäßverengende Hormone
schossen ins Blut. Darüber sah ich aber großzügig hinweg. Aus dem
Felsgestein ragte viel Wurzelwerk und Geäst, das uns beim Klettern als
Haltegriff oder Steigbügel diente. Wie der frenetische Applaus in einem
Amphitheater hallte urplötzlich das monotone Rauschen des charismatischen
Wasserfalls durch den tiefgrünen Bergregenwald und ich glaubte, jetzt hätten
wir es bald geschafft. Pustekuchen! Daktylisierend bekam ich zu verstehen,
das wir immer noch ein großes Stück vor uns hätten...
Nun wurde unsere spektakuläre Kletterpartie belohnt und mein geschlauchter
Adrenalinhaushalt pegelte sich wieder ein. Im dichten Sprühnebel des
donnernden Rauches standen wir unterhalb des traumhaften Falls, der sich mit
brachialer Naturgewalt über mehrere Kaskaden noch viele Meter weiter in das
endlose Urwaldtal ergoss und mir war nun auch klar, warum das Foto, das ich
in der quirligen Hauptstadt gesehen hatte, vom Heli aus geschossen wurde und
nicht vis-a-vis.
Mein indianischer Freund erklärte mir, dass das hier noch gar nichts sei,
denn wir hätten Sommerzeit. In der Regenzeit von Mai – September braust die
3fache Menge an Regenwasser, flutwellenartig, mit ungebändigter Kraft die
hohe Felswand herunter.
Zurück am Ausgangspunkt bekam ich noch die herzliche, lateinamerikanische
Gastfreundschaft zu spüren, denn wir hatten ja den ganzen Tag nur wenig
gegessen. Freundlich wurde ich von seiner Familie in das einfache Holzhaus
gebeten. Der beste Platz sollte für mich sein. Es war ein selbst gezimmerter
Holzstuhl, der vor dem
kleinen Kofferfernsehgerät stand. TV ist hier absoluter Luxus. Die
Empfangsantennen auf den Dächern des Urwalddorfes konnte man an den Fingern
einer Hand abzählen. Schnell war das Essen zubereitet und ein vom Rost
gezeichneter verbeulter Jeep, der auch schon bessere Tage gesehen hatte,
stand anschließend für die Rücktour mit mehreren jugendlichen Fahrern
bereit. Die Heimfahrt wurde zu einem dramatischen, triumphzugähnlichen
Allegro, ohne dass der junge, wilde Fahrer einmal degoutierte. Vorbei an
vielen Frauen, die von einer nahen Quelle traditionell das frische Wasser in
großen, bunten Krügen auf ihren Köpfen trugen. Als die asphaltierte
Urwaldsstraße wieder erreicht wurde, waren wir schnell wie der Wind und frei
wie der Sturm. Rock 'n' Roll! Mit weit geöffneten Armen standen meine
tollkühnen Begleiter hinten auf der offenen Ladefläche, so wie später im
authentischen Thriller von 1997 Leonardo D Caprio und Kate Winslet auf der
Bugspitze der Titanic. James Cameron wäre beim Anblick dieser vor
Lebensfreude strotzenden Burschen begeistert gewesen.
Weiterhin
hatte ich auf meiner späteren, relevanten Fakultativreise noch zwei
impressive Quetzalbegegnungen, besuchte die gewaltigen Tempelruinen von
Tikal, ein archäologisches Juwel der sagenumwobenen Mayakultur und den
faszinierenden Atitlansee. Hier trifft man verrückte Träumer, abgefahrene
Aussteiger, multikulturelle Lichtgestalten, erfinderische Quacksalber und
eingefleischte Weltenbummler aus aller Herren Länder und solche, die es noch
werden wollen. Das abenteuerliche ultimative Reiseziel Guatemala mit seinen
dichten üppigen Regenwäldern, fesselnden Vulkanen und dem ohrenbetäubenden
Getöse der sich einzigartig herabstürzenden Wasserfälle wird mir immer in
unauslöschlicher Erinnerung bleiben!
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