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geht es an Hasina und Hafopotsybäume vorbei. An einem über dem Weg hängenden
Ast sitzen viele schmetterlingsähnliche Kerbtiere. Es sind Phromnia rosea,
weiß Armand. Die Überlebungsstrategien anderer Insekten sind spektakulär.
Eines sieht aus wie ein Blatt, ein weiteres wie ein Zweig. Farbenfrohe
Mantella laevigata Frösche springen uns aus dem Weg. An einem von der
Wildnis umzingelten Intsia - Baum, der etwas weiter im Dschungel steht,
stoppen wir. Ich spüre, hier muß etwas sein. Armand sagt nichts.
Er will bestimmt meine Augen prüfen, denke ich. Schnell schweifen meine
Blicke über jedes Blatt und jeden Zweig, und da an der Rinde des Intsia -
Baumes entdecke ich
zwei Augen. Es sind doch Augen? Ich gehe dichter heran und entdecke ein 30
cm langes Relikt der Urzeit. Ein Leaf - Tailed Gecko, Meister der Tarnung.
Förmlich unsichtbar verschmelzen seine Farben mit denen des Hintergrundes.
Selbst farbige Punkte, Striche, Schatten und Algen werden von ihm
nachgeahmt. Die gesamte bizarre Haut der Echse scheint nahtlos in die Rinde
des Baumes überzugehen. In meinem Begeisterungstaumel kann ich kaum die
Kamera ruhig halten und ich fotografiere ihn mehrmals, um ganz sicher eine
gelungene Aufnahme zu erhalten. Armand staunte, wie schnell ich ihn entdeckt
hatte. Aber er hatte ihn als Erster gesehen. Schnell habe ich mich an das
einfache Leben gewöhnt. Im letzten Abendlicht richte ich unter dem undichten
Blätterdach meinen Schlafplatz ein. Ich muß eine Stelle finden, an der ich
nicht naß werde, falls es regnet. Dafür kam nur ein einziger Platz in Frage.
Am
nächsten Morgen bemerkte ich, daß es sich ein paar junge Zonosaurus
madagascariensis - Eidechsen in meinem Schlafsack (dünner Bettbezug) bequem
gemacht hatten und ich hatte gedacht, das dauernde Gekrabbel in der Nacht
seien Mücken gewesen. Aber es kam noch viel besser. Eine gut 2 m lange
Sanzinia madagascariensis - Boa hatte ebenfalls meinen Lagerplatz als
Schlafstelle gewählt. Als Armand den Frühstückstee aus den Blättern des
Veromangitra - Grases kocht, kommt ein seltsames Furcifer paradalis -
Chamäleon im Zeitlupenschaukelschritt auf seinen
langen, dürren Beinen aus dem Wald gelaufen. Der Rumpf scheint seitlich
stark zusammengedrückt und auf dem Rücken trägt es einen scharfkantigen
Kamm. Die Augen bewegen sich völlig unabhängig voneinander. Es ist ein
farbenprächtiges Männchen. Das ewig wechselnde Spiel der Farben zieht mich
in den Bann. Hier herrschen noch paradiesische Zustände, der Guide hatte
nicht zuviel versprochen.
Nach dem Frühstück wollen wir die Black and White Lemuren ausfindig machen.
Diese Halbaffenart kommt nicht im Masoala - Regenwald vor, sondern nur hier.
In der schon schwülfeuchten Hitze des Morgens (+27C°), starten wir in die
wilden Tropen. Elektrisierende Anspannung macht sich breit und es riecht
nach Abenteuer, als wir in der Ferne das Angst erregende Gebrüll einer
Lemurenhorde hören. Armand weiß, wo die Bäume mit den Lieblingsfrüchten der
Lemuren stehen. Wir kommen so dicht an sie heran, daß mir einer fast auf den
Kopf uriniert. Das Fotografieren ist sehr schwierig. Immer hängt ein Blatt
oder Zweig im Weg und wenn einmal freie Sicht ist, schaut der Lemur gerade
weg oder die Schärfe ist nicht richtig gezogen. Oft reicht das Licht nicht
und die Verschlußzeiten sind zu lang um auszulösen.
Brookesia peyrierasi heißt das kleinste hier vorkommende Chamäleon. Wir
entdecken
es direkt am Wegesrand, es ist gerade mal ca. 3,5 cm lang bzw. kurz. Drei
weitere Chamäleonarten können wir ebenfalls am gleichen Tag noch auffinden,
beobachten, wie eine Süßwasserkrabbe einen Frosch erbeutet, ein Zonosaurus
madagascariensis ein riesiges Heupferdchen jagt und sehen ein Furcifer
paradalisweibchen bei der Eiablage. Das ist National Park pur!
Wieder in Maroantsetra beraten wir nun unsere Masoala - Tour. Da wir keinen
Bock haben, den ganzen Proviant für sechs Tage zu schleppen, entschließen
wir uns, von einer Rainforest Lodge aus zu starten. Sie wurde erst vor zwei
Jahren gebaut und ist mit dem Motorboot in ca. 90 min. zu erreichen. Diesmal
gilbt es keine Probleme mit dem Motor und die See ist ruhig.
Ambodiforaha (60 Einw.) heißt die kleine Siedlung, an der wir auf der
Halbinsel Masoala an Land gehen. Mit bloßen Händen haben die Einwohner das
Land der Wildnis abgerungen. Jegliche Hektik ist hier fremd und die heitere
Gelassenheit ist nicht nur ihr, sondern nun auch unser wichtigstes
Handwerkzeug. "Wie viele Menschen hier leiden an Malaria" möchte ich wissen.
"Alle" und "was tun sie dagegen, wenn das Fieber und die
Schüttelfrostattacken kommen"? " Sie trinken Tee, gekocht aus Chinin oder
Ako Hofotsyblätter. Die Tambourissawurzel eignet sich ebenfalls zum Tee
kochen. "Wie viele können lesen und schreiben"? "Wahrscheinlich keiner".
"Gibt es eine Schule in der Umgebung"? "Nein". "Wie weit wäre es bis
Maroantsetra"? "Drei Tage". "Wie viele haben einen Ausweis"? "Nur wenige".
Als ich
einige Taschenkalender im Dorf verschenke, möchte ich, daß sie mir zeigen,
wann sie Geburtstag haben. Die meisten wissen es nicht oder müssen sehr
lange mit dem Finger auf dem Kalender suchen. Einige Kinder fangen an zu
schreien und laufen schnell zur Mutti, als sie mich sehen. Die weißen
Touristen, die hierher kommen, bleiben meist in der Lodge oder schauen sich
das Dorf nur von weitem an. Unser Bungalow ist mit drei Betten (mit
Moskitonetzen) und zwei Tischen mit drei Hockern ausgestattet. Ich
begutachte das Ravinaladach. Es ist tadellos. Auf Nosy Mangabe regnete es
jede Nacht durch. Für Touristen steht sogar eine Buschküche mit
Propangasherd zur Verfügung, denn sie lieben jeden Luxus. Wir ziehen die
offene Feuerstelle von Francel vor. Seine ca. 8 m² kleine Hütte, in der er
mit seiner Frau und zwei Kindern lebt, steht am dichtesten an unserer
Unterkunft. |