Am
nächsten Tag starte ich allein auf einem ausgetretenen Pfad in das
Traumzielabenteuer Masoala. Mein Begleiter soll mal ein wenig mit seinem
alten Kumpel Francel plaudern und dafür Sorge tragen, daß das Mittagessen
fertig ist, wenn ich wieder komme. Die Zubereitung über offenem Feuer dauert
nämlich ca. 90 Min. An einer Licht durchfluteten Wegbiegung tummeln sich
zahlreiche farbenprächtige Schmetterlinge. Doch keiner von ihnen setzt sich
ein einziges Mal, so daß ich nicht fotografieren kann. Nur bei einem
aufgeschreckten Nachtfalter habe ich Glück. Dutzende Krabben flüchten hinter
Steine oder verstecken sich hinter den Baumstämmen. Der Geräuschkulisse
hunderter Grillen und Zikaden folgend, geht es weiter in eines der letzten
Naturparadiese der Welt. Leider kann man nicht alles sehen, was man hört.
Hier sind die Flüsse noch ökologisch intakt und nicht mit Quecksilber
verseucht, hat der Wald noch nie eine Motorsäge gehört und die Raubritter
des Kapitalismus, die schon über 90% der Regenwälder Madagaskars abgeholzt
haben, werden hier nicht mehr zum Zuge kommen. Durch die Einrichtung des
National Parks hat die Bedrohung Masoala nun ein Ende gefunden. An
einmaligen Schauplätzen der Natur, weit weg von zu Hause, geht es weiter in
ein Labyrinth aus Pflanzengewirr. In einem tosenden Wildbach setze ich meine
Reise fort. Es geht steil bergauf und die veralgten Steine in den
Wasserfällen sind glatt wie Schmierseife, ich muß beide Hände zum Klettern
benutzen. Trotzdem rutsche ich aus und verletze mich am Schienbein. Neugier
treibt einen in riskante Situationen. Ohne Risiko kein Abenteuer!
Das
ist kein Urlaub, sondern eine Herausforderung. Dafür sehe ich Bilder, die es
an anderen Orten schon lange nicht mehr gibt, erlebe das besondere Flair des
Regenwaldes und die phantastischen Launen der Natur. Überall, wo ich
hinschaue, sehe ich die exotische Kulisse eines unerforschten Paradieses.
Hierher hat sich kaum jemand verirrt. Weiter geht es in die wilde Schönheit
einer unendlich erscheinenden Wildnis. Die Freiheit scheint hier grenzenlos
zu sein und überall riecht es nach Abenteuer. Die fächerartigen Wedel der
Ravinalapalmen wachsen in nur einer Ebene aus den Stämmen heraus. Von den
Licht durchfluteten Kronen der Bäume hängen die langen Blätter der Epiphyten.
Sie prägen immer wieder das Bild im Reich der Lemuren. Ihr drohendes und
Furcht erregendes Gebrüll ist einfach nicht wegzudenken. Es gehört zu der
zeitlosen Musik des Waldes und zum Lebenscode der Erde einfach dazu.
Plötzlich taucht ein Helmet - Vanga (Vogel) auf. Er ist ein Wahrzeichen
Masoalas. Obwohl er mich sieht, posiert er fast zutraulich auf einem Ast,
nicht weit entfernt von mir. Leider habe ich gerade das Objektiv mit der
kurzen Brennweite auf der Kamera. Auf die nächste Exkursion will Armand
mitkommen. Auf Anhieb findet er die Stellen, wo sich die Tiere aufhalten.
Ich müßte auf gut Glück wieder lange suchen. Wir stoßen aber
nur auf Echsen und Chamäleons, die wir auch schon vorher gesehen hatten.
Lediglich einige Vögel waren neu, wie der Red Breasted Coua. Die
Himmelspforte öffnet nun ihre Tore. Schnell wird die Kamera, wasserdicht in
Folie verpackt. Jetzt haben wir Masoala - Regenwald pur. Unter einen
Dracenaea - Baum suchen wir Schutz. Lange kann er das viele Wasser nicht
mehr aufhalten. Unangenehm kühl dringt der heftige Regen nun durch. In
wenigen Minuten haben wir keinen trockenen Fetzen mehr am Leib, da können
wir auch weiter gehen. Wo eben noch ein Pfad war, ist jetzt ein tosender
Wildbach entstanden. Das Wasser rast ihn schneller herunter als wir laufen
können. Bis zu den Knöcheln ist man nun permanent im nassen Element. In den
zu überquerenden Sturzbächen entstehen tückische Flußwirbel. Nun wird es
spannend, vorsichtig und mit viel Schlamm in den Schuhen müssen sie
überwunden werden. Heimlich sehnt man sich zurück in die Zivilisation.
Zurück in Ambodiforaha. Wo am Morgen noch unsere Feuerstelle war, schwimmen
nun die Enten. Hier ist ein riesiger Teich entstanden. Bei Francel steht
heute Tintenfisch auf dem Speisenplan. Ich frage, ob er ein wenig gegen
meine Nudeln tauscht. Er ist einverstanden. Der Tintenfisch schmeckt
überraschenderweise nach Hühnchen. Zu essen haben sie genug, stelle ich
fest. Überall wächst Ananas, Yackfrucht, Papaya, Banane, Orange, Avocado,
Maniok, Kokospalme und Vanille. Ein großes Reisfeld haben sie sich angelegt
und das Meer ist reich an Fischen, der Strand voll mit Krabben und Muscheln.
Sie halten Hühner und Enten.
Am
Abend unternehmen wir eine Nachtsafari. Im Schein
der guten Taschenlampe überraschen wir immer wieder schlafende Vögel. In
einem der oberen Stockwerke des Waldes entdecke ich 2 funkelnde Augen. Ich
hielt es zunächst für eine Ratte, denn der Körpergröße nach kam das ungefähr
hin. Armand gab mir zu verstehen, daß es sich um einen Mausmaki handelte.
Mein Begleiter leuchtet jetzt auch öfter den Weg aus, denn auf Nosy Mangabe
ist er auf eine Schlange getreten. Gott sei Dank war er barfuß (Schuhe im
Boot vergessen). Dadurch spürte er das Reptil besser und konnte gleich zur
Seite springen. Mit festem Schuhwerk hätte er voll darauf getreten und die
Schlange hätte ihn vielleicht gebissen. Prächtige große bunte Nachtschwärmer
fliegen mir in das Taschenlampenlicht. Wie gerne hätte ich sie fotografiert.
Ein nachtaktiver, stattlicher Gecko dagegen ließ sich sehr gut ablichten.
Das große Abenteuer Masoala ist nun vorbei und das Boot, das uns abholen
soll, kommt pünktlich. Eine Gewitterfront zieht auf. Die See wird stürmisch,
die Wellen höher. Das offene Motorboot setzt immer öfter hart auf. Noch eine
halbe Stunde bis in den sicheren Hafen von Maroantsetra. Heftig
hereinbrechender kalter Regen peitscht uns von vorne in die Gesichter. Man
kann die Augen kaum geöffnet lassen. Wie Hagelkörner treffen die
Regentropfen auf die Haut. Vorausschauend habe ich mein gesamtes Gepäck
wasserdicht verpackt. Der Bootsführer steht in seinem Osama Bin Laden – T-
Shirt wie ein Fels in der Brandung unbeeindruckt am Ruder.
Auf der einfach asphaltierten Rollbahn des "Flughafens" von Maroantsetra,
stehen einige Gepäckstücke, darunter mein Rucksack. Ich frage einen deutsch
sprechenden Madagassen, was das zu bedeuten habe? "Die Maschine hat
Übergewicht und das ist das Gepäck, was sie nicht mitnehmen". Nach einer
etwas lauteren Diskussion wurde dann mein Rucksack (6kg) doch noch zur
Maschine gebracht. (Vorher wurden alle Passagiere mit ihrem gesamten Gepäck
gewogen).
Airport Antananarivo, der Hauptstadt Madagaskars. Andrianimanana,mein
privater Taxifahrer, den ich schon bei meiner Ankunft aus Deutschland in
Tana hatte, war wieder zur Stelle. Diesmal war er clever. Er hatte ein
Schild mit meinem Namen dabei und der heraneilende Gendarm konnte ihm nichts
anhaben. Letztes Mal mußte er sich mit einem rasanten Fahrmanöver über eine
hohe Bordsteinkante der Polizeikontrolle entziehen. Er bringt mich wieder
ins Anjary - Hotel, im Zentrum der Stadt.
Soviel Elend wie hier habe ich noch nirgends auf der Welt gesehen. Bettler,
Krüppel, Obdachlose an allen Ecken. Junge barfüßige Mütter, nur in zerfetzte
Lumpen gehüllt, auf der Bordsteinkante sitzend, geben ihren Kleinkindern,
die völlig vereiterte Augen und Rotznasen haben, dreckiges Wasser aus
verrosteten Konservendosen zu trinken. Im schmutzigen Abwasser der Stadt,
welches den Rinnstein herunter läuft, waschen die Ärmsten der Armen noch
ihre letzten Habseligkeiten.
Morondava, ein an der Westküste gelegener Ort, war ein weiterer Höhepunkt
auf meiner Reise. Hier wachsen die faszinierenden Baobabs (Affenbrotbäume),
ein "Muss" auf jeder Madagaskarreise. Die Allee mit den heiligen Bao Bab -
Bäumen ist weltbekannt und nur mit dem Auto zu erreichen.


Madagaskar Februar 2004
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