"Antonio, Antonio!" rufe ich.
Er kommt fassungslos zurück und will nicht wahr haben, dass er das
gefürchtete Reptil übersehen hat. Langsam kriecht die Schlange fort und in
letzter Minute fällt mir das Filmen ein. "Licht, Licht das Licht auf den
Kopf der Schlange Antonio. Du musst dichter ran". Während ich die Kamera
ruhig halte wackelt Antonio nur so mit seiner Taschenlampe herum.
Offensichtlich hat er großen Respekt vor dem Tier.
Nachdem wir wieder im Lager sind, sammele ich die krabbelnden Zecken von
meinem zerrissenen Hemd ab. Als ich schon unter mein Moskitonetz gekrochen
bin, verschwinden Antonio und sein Begleiter noch mal zur Jagd. Im Abstand
von einer Stunde durchschneiden zwei gellende Schüsse die bewölkte
Dschungelnacht. Antonio hat einen Hühnervogel verfehlt. Sein Kumpel hatte
besseres Jagdglück, er kehrt mit einem Lapa zum Basislager zurück. Am
nächsten Vormittag wird das Wildbrett mit kochendem Wasser überbrüht. Nun
schabt Rosa mit einer scharfen Machete das Fell ab. Esperansa hilft ihr
dabei. Erst danach wird das Stück vom Schützen aufgebrochen. Wenig später
liegt alles tranchiert auf unserem Urwaldgrill.
Anschließend geht es noch mal tiefer in den wilden Dschungel, als wir es
nachts konnten. Vorbei an den mit Stacheln bewehrten, schlanken Stämmen
der Pirijao-Palmen. Schillernde und leuchtende Schmetterlinge tummeln sich
an einer noch feuchten Stelle eines ausgetrockneten Flusses. Weiter an
birnenartigen Wespennestern, urzeitlichen Eidechsen, brummenden
Riesenhummeln, dick wie Bankerfrauen und diversen Spinnen und Froscharten. Eine Blattschneideameisenstrasse nutzen auch wir als Weg. Außergewöhnlich
ist, dass sie bunte, zusammengerollte Blütenblätter transportieren. Eine
Mannigfaltigkeit der Farben rot, blau und gelb. Dazwischen natürlich auch
die herkömmlichen grünen Blätter. Flüssigkeit zum Trinken gewinnen wir aus
Lianen. Ausgerechnet da wo ich stehe, befindet sich ein Ameisennest. Erst
als meine Schuhe und Socken voll mit den karamellbraunen Insekten sind,
beißen sie fürchterlich zu und ich weiß nicht welchen Schuh ich vor
brennenden Schmerzen zuerst ausziehen soll. Bald erreichen wir ein
verkohltes Waldstück. Auf der grauen Asche werden die Schritte
federleicht. Eine Schlange fiel den grausamen Flammen zum Opfer. Ihr
Körper ist noch sehr gut erkennbar. Viele Bäume sind unten
durchgeschmort
und umgestürzt. In der Ferne hört man das markerschütternde Getöse
weiterer umfallender Bäume. Als wir einmal rasteten zeigt Antonio hastig
auf einen schwarzverkohlten Baum. Dieser ist nicht weit von uns. Plötzlich
austretender Rauch aus seiner aufplatzenden Borke und eine krächzende
Geräuschkulisse sind ein Indikator dafür, dass auch dieser Baum gleich in
die Knie gehen wird.
Auf dem Rückweg zur Straße, wo wir mit Axel verabredet sind, kommt es dann
doch noch zu einem nicht alltäglichem Intermezzo. Über einem trockenen
Graben dient ein Baumstamm als Brücke. Antonio, der vor mir läuft, bleibt
auf diesem stehen und tut so als ob nichts los sei. Zuerst denke ich er
will auf seine Familie warten, die noch ein Stück hinter uns ist. Nichts
ahnend schaue ich mehr zufällig links am Baumstamm herunter. Ein
aufregendes Farbspecktakel springt mir in das staunende Auge. Parallel zur
Brücke liegt regungslos eine über 2 m lange Boa Konstriktor! Der vordere
Teil mit dem Kopf befindet sich unter dichtem, nicht einsehbarem Gestrüpp.
Das komplette Fotoequipment ist transportsicher für den Rückmarsch
verstaut. Mitten auf der schmalen Überführung muss ich den Rucksack
abschultern, die Fototasche hinstellen, Boa beobachten, Gleichgewicht
halten, Kamera klar machen, Film wechseln und Antonio signalisieren, dass
er mit seinem Wanderstock den Kopf der Schlange freilegen soll. Beim
Herausnehmen der Kamera fällt eine Filmkapsel in die Schlucht und
ausgerechnet die farbig markierte, sie enthält den digitalen Speicherchip
mit den Aufnahmen vom Salto Angel und den Yanomamis. Unglaublich, sie
bleibt zwischen den dichtverzweigten Ästen hängen. Einen halben Meter über
dem Kopf der Boa, den Antonio inzwischen freibekommen hat. Bevor ich
fotografieren kann, fische ich sie schnell weg, damit sie nicht tiefer
fällt. Ein Stück weiterhin wird das Terrain nämlich abschüssig. Das
Strauchwerk leistet erbitterten Widerstand. Es ist mit dem Stock nicht
wegzubekommen. Ich kann also nur den hinteren Teil oder nur den Kopf der
Riesenschlange aufnehmen. Vorsichtig versuche ich sie mit dem Stock in
eine bessere Position zu bekommen. Das macht sie natürlich nicht mehr mit
und verschwindet im dichten Buschwerk. Dabei denke ich an das Filmen aber
der Akku ist platt. Nein!
Einen ganz besonderen Dank an Axel Kelemen, der kurzfristig alle
erforderlichen Papiere beschaffte, das Buschflugzeug und seine Boote zur
Verfügung stellte.
Kontakt zu Axel Kelemen:
E-Mail

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