Lim möchte wissen, wie lange ich bleibe und was mein Plan ist, und als er
hört, dass ich zu den Bergvölkern möchte und im Urwald fotografieren will, bietet er sich gleich als Führer an. Nun gebe ich zu verstehen, dass ich einen Buschmann als Führer brauche und keinen Stadtmenschen! „Ich kenne einen Ranger, der kennt sich gut im Dschungel aus, und Du brauchst mich als Dolmetscher, denn er spricht kein Englisch und ich kann gut kochen!“ Okay, wir machen für morgen früh eine Uhrzeit aus. Wie es mit den Minen ist, möchte ich noch wissen? Die Gegend um Banlung wurde offensichtlich nie vermint und ich hatte mich schon auf Niedrigdruckzündvorrichtungen, Aufhebschutzvorrichtungen, Kippzündvorrichtungen, Alarm und Stolperdrähte, Antipersonen und Tankminen vorbereitet. Ich bin ja schon als halber Sprengstoffexperte hier angereist, denn meine Internetrecherche hatte etwas anderes ergeben. Auf einer Minenkarte war auch an einer Stelle nördlich von Banlung ein kleiner roter Punkt markiert. Dieser symbolisierte: Achtung, Minen! Schließlich verlief ja der Ho-Chi-Minh-Pfad durch Banlung. Auch meine Umfrage bei der einheimischen Bevölkerung ergab: keine Minen. Merkwürdigerweise sah ich auf dem quirligen Markt von Banlung zwei Männer mit Unterschenkelprothesen…?
An der Rezeption fragt mich der Geschäftsführer der Lode, was ich hier vorhabe. Als er hörte, dass ich in den Dschungel gehen und da auch schlafen werde, antwortete er scherzhaft: „Willst du vom Tiger gefressen werden?“ Nachdem wir Proviant für drei Tage eingekauft haben, verlassen wir auf dem knatternden Moped am nächsten Tag Banlung in Richtung Norden. Nach 15 km Staubschlucken erreichen wir die auf einem Hügel liegende kleine Ortschaft Kalei Two im O’ Chum District. Hier soll ich mit Nife, dem 33jährigen Ranger, bekannt gemacht werden. Er ist nicht zu Hause. Die Männer des Dorfes fragen mich: „Siehst du die Rauchfahne da hinten im Buschland? Da ist Nife.“ Ein aufgeschlossener pubertärer Junge wird losgeschickt, um ihn zu holen, doch er kommt nicht wieder. Es sind 33°C. Wir nehmen unsere Rucksäcke und machen uns nun selber auf den Weg. Nach ca. 20 Min. erreichen wir die Stelle, an der weißgrauer Rauch aufstieg. Auf der nackten Erde steht eine einfache kleine Hütte aus Buschmaterial, in der eine Bergfamilie lebt. Freundlich und überlustig werden wir von Slou, dem Hausherren, empfangen. Es hat natürlich auch einen Grund, dass hier alle so besonders heiter sind. In dem kleinen überdachten Vorbau stehen zwei 40 cm hohe Keramikkrüge voll bis zum Stehkragen mit Reiswein. Eine 72jährige Dame ist gerade gut dabei auch fröhlich zu werden. Meiy, ein anderer angetüteter exaltierter Mann, bietet mir seinen überlangen Strohhalm an, an dem noch der klebrige Speichel des Vorgängers haftet. Eine hohe Keimfracht ist garantiert. Ich darf nicht ablehnen, sonst verliere ich meinen Nimbus und werde als Barung (westlicher Touri) abgestempelt. Nach dem Degustieren bedanke ich mich mit: „okun chran“ (danke schön). Für die Kinder habe ich wieder Bonbons dabei und für die Männer Filtertüten aus Deutschland. Unter dem niedrigen Blätterdach entdecke ich eine effiziente Armbrust. Slou macht sie sofort schussbereit. Die starke Schnur bekommt er nur mit Mühe über den Bogenbügel gespannt. Es erinnert mich an den Spielfilm „Odysseus“. Nun muss die Spannschnur noch nach hinten über den Abzugshahn gezogen werden. Mit der bloßen Hand geht das nicht. Der Mittelsteg wird mit einem Fuß (zwischen dem großen und dem benachbarten Zeh) auf den Boden gedrückt, um dann mit beiden Händen ziehen zu können. Der 44 cm lange Jagdpfeil wird in eine im Mittelsteg gefertigte Nut gelegt. Gezielt wird über den Pfeil. Er muss mit dem Ziel einen Punkt ergeben, ähnlich wie bei einer Schrotflinte. Mir wird die schussbereite, gefährliche Waffe gereicht. Ein junger Baum muss als Ziel herhalten. Das Abfeuern der Armbrust ist ungewohnt. Man muss den Abzug mit dem Zeige- und Mittelfinger gleichzeitig von unten nach oben schieben, um den Schuss auszulösen. Peitschend schnellt die Schnur nach vorne und der Jagdpfeil sitzt, trotz meines Tatterichs, tief in der Rinde des Baumes. Vor lebhafter Freude aller darf ich gleich wieder den Reiswein genießen und mir wird ein traditioneller Strohhut aufgesetzt. Die sanguinischen Männer jubeln. Jetzt wird mir der verzierte Bambusköcher mit den Pfeilen gereicht. Wieland soll noch mal schießen! Als ich einen herausziehe, fallen mir mehrere hirschkäfergroße dunkelbraune Schaben entgegen.
Jetzt kommt Nife. Ich stelle fest, dass er ein ganz normaler Jäger ist. Das Wort Ranger steht hier also für Buschmann (Jäger) und nicht für Ranger. Lim übersetzt mein Vorhaben, Nife ist einverstanden..... Wir machen uns auf in Richtung Primärwald. Unter der schweren Last der Rucksäcke brennt schweißtreibend Kambodschas Sonne. Bald erreichen wir eine kleine Bergsiedlung. Die Einwohner sind im Urwald, nur 2 Frauen sind präsent. Mein überschüssiges Gepäck wie Gastgeschenke möchte ich hier lassen. Lim sieht ein derbes Fishbone- Sweatshirt in meinen aussortierten Sachen, das er gleich für sich anmeldet. „Das brauche ich für nachts.“ Weiter geht es durch eine wilde Bananenstaudenplantage. Der Weg wird schmaler und geht stramm bergauf. Die Vegetation ändert sich schlagartig. Urplötzlich passieren wir ein entlaubtes Waldstück. Durch die hohen blattlosen Baumkronen sengt weiter die glühendheiße, asiatische Tropensonne. Lim erklärt mir, dass die Salai – Bäume (Lagerstroemia calyculata) in der Trockenzeit ihre Blätter verlieren. Die helle, fast weiße Borke der mit Brettwurzeln versehenen Baumriesen lässt eine einzigartige Kulisse von ungeheurer Schönheit entstehen. Ich bin überwältigt. Wieder ändert sich die Umgebung. Wir passieren eine dichte, eingestreute, jungfräuliche Bambushaininsel. Endlich geht es auf dem alten Jagdpfad erholsam bergab. Aber die Freude ist von kurzer Dauer. Genauso geht es jetzt wieder anstrengend bergauf. Die Luft wird diesig und nebelig, man schaut wie durch eine beschlagene Brille. Das harte Tageslicht legt sich wie ein stickiger Schleier in den Weg. Beißender hellgrauer Rauch macht sich breit. Buschfeuer!

 

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