23:00 Uhr. Die zeitraubende, strapazenreiche und
Kräftezehrende Anreise ist geschafft. Mein Rücken ist von der harten,
eisernen Rückenlehne leicht geschwollen. Endlich angekommen in den Naga
Highlands, in der Einsamkeit eines Paradieses. Wir befinden uns jetzt mitten
im Kachin - Staat, einer der unbekanntesten und isoliertesten Regionen
Myanmars (off limit ). Uns werden mit asiatischer Gelassenheit die
Unterkünfte zugeteilt. Kein First Class, muss die schicke Clique der
feudalen 'Touris' feststellen. Für die nächsten Tage müssen sie wohl ohne
einen
'Türaufhaltenden Grußaugust' auskommen. Auch erhalten wir unsere gelben
Sondersichtausweise für das Naga Neujahrsfest. Die pastoralen Hütten aus
Buschmaterial, die uns zugewiesen wurden, sind extra für die
Festivalbesucher gebaut worden. Jede ist unterteilt in vier Kammern ohne
Türen und Fenster, es gibt kein Bad und WC. Waschgelegenheit aus alten
Ölfässern und die Toiletten a la Dixi sind ca. 50 m outdoor. Die aus Bambus
geflochtenen Schlafplätze, ca.1 Meter über dem blanken Erdboden, sind mit
einer Matratze, Kopfkissen und zwei Decken ausgestattet. Für Solitärbesucher
sogar nur mit einem Schlaflager. Alle Hütten sind nummeriert und mit den
Namen der Gäste versehen. Mit Aussuchen ist hier nix. Die wärmenden Decken
leisten in der nächsten Nacht gute Dienste. So konnten unsere ausgekühlten
Körper der klirrenden Kälte wenigstens etwas trotzen. Ohne diese wäre ich
mit meinem dünnen Schlafsack nicht über die Runden gekommen. Einen
Lichtschalter gibt es nicht, die Beleuchtung bleibt die ganze Nacht an.
Der Morgen ist strahlend schön und am Infostand für die Teilnehmer sucht
jemand Passagiere für eine Jeepfahrt in eine benachbarte Naga Siedlung. Ich
bin dabei! Kaum kann ich es erwarten Lahe hinter mir zu lassen. Rumpelnd,
über eine abenteuerlich geschwungene Staubpiste, geht es an einen Ort aus
einer anderen Zeit. Hier scheinen die Uhren stehen geblieben zu sein. Ein
Jahrtausend altes Echo aus der Urzeit ist zu
hören und alles, was vom Üblichen abweicht, fesselt meinen Blick Man fühlt
sich gleich zu Hause, obwohl man ein Fremder an einem fremden Ort ist. Als
ich die ersten Ureinwohner sehe, kommt gleich der fotografische Jagdinstinkt
in mir durch. Jeder Einzelne hier gibt ein faszinierendes Fotomotiv ab. Wie
hält man die exotische unbändige Schönheit mit der Kamera fest? Mit offenen
Kinnladen bestaunen die Kinder und Jugendlichen meine Canon. Vom Scheitel
bis zur Sohle werde ich gemustert. Hierher kommen kaum Besucher. Erst jetzt
bemerke ich, dass ich für sie vielleicht noch interessanter bin als sie für
mich. Unter den strengen und neugierigen Blicken der Naga gehe ich weiter in
den kleinen Ort hinein, um mich von den blasierten, präpotenten
„Weißbroten“, die sich gegenseitig beim wild um sich her Knipsen ins Bild
rennen, abzusondern. Jetzt bekomme ich auch einen Einblick in das
unprätentiöse und frugale Leben der Bewohner. Nirgends plärrt Musik aus
einem Lautsprecher, kein Marktfrauengeschreie
hallt
durch den Ort, kein Autohupen und Reifengequietsche. Wer denkt, er kommt
allein hierher, hat sich getäuscht. Die geballte Militärmacht Myanmars ist
sehr präsent. Am Ende des Dorfes herrscht agile Aufbruchstimmung. Die Männer
machen sich für den Fußmarsch nach Lahe fertig. Sie werden in gut drei
Stunden die Stadt erreichen. Die anderen Stämme aus den Bergen sind dagegen
tagelang unterwegs. Auf den Köpfen tragen sie abenteuerlich geflochtene
Hüte, mit Fell und Wildschweinzähnen dekoriert. Bis zu 80 cm stehen die
weißschwarzen Nashornvogelfedern von ihren Kopfbedeckungen ab. Auf dem
Rücken tragen sie geflochtene Körbe. Einige sind mit spitzen Speeren
ausgerüstet. Als Halsschmuck tragen sie Tiger und Bärenzähne. Andere Männer
haben sich gleich das ganze Gebiss oder einen Kiefer der Tiere als Schmuck
um den Hals gehängt.
Viele Kinder sind ängstlich und wollen nicht fotografiert werden. Wie
Eidechsen
verstecken
sie sich in der bunten Menge und verschwinden wie die Sonne hinterm
Horizont. So eine Touristeninvasion sind sie einfach nicht gewohnt. Da hilft
auch der alte Bonbontrick nichts, die ich extra in Yangon gekauft hatte. Wie
ein Hund seinen Knochen in Sicherheit bringt, laufen sie mit ihnen los. Für
zwei mitgebrachte Kinder T-Shirts bekomme ich eine Kette mit einer Muschel
und einem Bärenzahn als Anhänger geschenkt. Die Männer dagegen nehmen gerne
meine Filterzigaretten und posieren dann mit maskenartigen Gesichtern und
einer manierierten Attitüde vor der Kamera. Wie von Furien gehetzt kommen
einige impertinente „Weißbrote“ mit ihren schussbereiten Fotoapparaten
rüpelhaft angerannt und stauben ordentlich ab. Dabei werden im Weg stehende
Kinder ruppig weggestoßen oder einfach umgerannt. Einige machen auch
Bekanntschaft mit rüden Ellenbogenchecks. Rücksichtslos und ohne zu fragen
halten sie ihre 300 mm Teleobjektive den Leuten direkt vor die statischen
und unbeholfenen Gesichter. Für ein gutes Sensationsfoto ist ihnen alles recht.
Geben werden sie nichts. Frechheit siegt!
Zurück in Lahe. Die ersten archaischen Stämme sind bereits eingetroffen, wie
viele
noch kommen werden ist nicht bekannt. Am Ende werden es 14 sein. Unter
anderem die TANGKUHUL, PARA, MAKURY, MACHAM oder die GONGVAN. Als am
Nachmittag alle Stämme in Lahe eingetroffen sind, betört das einzigartige
Farbspektakel ihres expressiven Kopfschmuckes die Sinne. Ein mongolisches
Sprichwort sagt: „ Einmal gesehen ist besser als tausendmal gehört.“ Jeder
Forscher würde jetzt ins Schwärmen kommen. Die Strapazen
der
traktierenden Anreise werden nun entschädigt. Hier entstehen Bilder, die es
an anderen Orten schon lange nicht mehr gibt. Jemand, der das erste Mal auf
Reisen ist, würde wohl einen Kulturschock bekommen. Man ist groß geworden
mit Geschichten und jetzt erzählt man selber welche. Die Naga halten an
uralten Riten fest und voller esoterischer Geheimnisse ist ihr Leben. Hier
schlägt der Puls der Freiheit. Verloren zwischen gestern und heute führen
sie noch ein ziemlich sorgenfreies Leben außerhalb der staatlichen Struktur. |